Nürnberger Prozesse – Pionierstunde des Simultandolmetschens

Mit der Vollstreckung der Todesurteile gingen vor 60 Jahren die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher zu Ende. Eine Besonderheit stellte unter anderem der erste Großeinsatz von Simultandolmetschern überhaupt dar. Das damals übliche Konsekutivdolmetschen hätte das Gerichtsverfahren unvorstellbar verzögert, wenn man bedenkt, dass man alles hätte einzeln in die einzelnen Verhandlungssprachen dolmetschen müssen. Konsekutiv wurden also nur die Vorverhandlungen gedolmetscht.

Dolmetscher beim Nürnberger Prozess
Dolmetscherkabinen beim Prozess – heute unvorstellbar: fehlende Schallisolierung
Die beim Prozess eingesetzte Simultandolmetschanlage von IBM war eine verglaste, nach oben offene, nicht schalldichte Kabine für je 3 Dolmetscher. Das System war etwas veraltet, so dass häufiger technische Störungen auftraten, da die Kabel im Gerichtssaal offen verlegt waren.

Die Dolmetscher für die 4 Arbeitssprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch) bildeten 3 Teams zu je 12 Mann, und jeder dolmetschte in seine Muttersprache. Sie hatten einen Blick auf die Angeklagten im Profil, das Rednerpult und den Richtertisch. Unsichtbar waren für sie dagegen der Zeugenstand und die Leinwand. Gedolmetscht wurde auch zur Verständigung der Richter untereinander sowie für die Pressevertreter und das Publikum.

Die Verdolmetschung und der Originalton wurden in 4 Kanäle eingespeist. Man bemühte sich während des Prozesses um die Einhaltung einer Redegeschwindigkeit von 60 Wörtern pro Minute, was einem Diktiertempo entspricht. Die Dolmetscher hatten die Möglichkeit, mit Hilfe von Signallampen dem Redner zu signalisieren, dass er sein Redetempo drosseln bzw. verständlicher sprechen soll. Besonders oft musste Fritz Sauckel, einer der Angeklagten, auf diese Weise zur Räson gebracht werden, da er unverständlich verschachtelt gesprochen hat. Nach der Verkündung seines Todesurteils glaubte er noch, Opfer eines Übersetzungsfehlers geworden zu sein.

Signallampen für die Kommunikation zwischen den Dolmetschern und Rednern:

rot – Rede unterbrechen
gelb – langsamer bzw. verständlicher reden

Obwohl ihre Arbeitsbedingungen unvorstellbar waren, haben sich die Simultandolmetscher bewährt und mit ihrem Einsatz während der Nürnberger Prozesse ein neues Kapitel in der Translationsgeschichte geschrieben.