Obamas Dolmetscher im Gespräch

Dolmetscher Jürgen Stähle, der in deutschen Medien seine Stimme bekannten Persönlichkeiten verleiht, gab im Zeitungsinterview zu, dass eine auf den ersten Blick fließend gedolmetschte Rede des amerikanischen Präsidenten für den Dolmetscher zu schweren Aufgaben gehört.

Obamas Rede in Berlin 2008
Auch über diese Rede in Berlin im Vorjahr haben die Dolmetscher geschwitzt
Der amerikanische Präsident ist nämlich zum einen ein exzellenter Redner, zum anderen liest er aber seinen Text vor – gleichwohl sehr unauffällig. Und obwohl es auf die Zuhörer wirkt, wie wenn er frei reden würde, setzt er so unbewusst ein um ca. 50 % höheres Tempo ein als bei einer nicht gelesenen Rede.

Stähle machte auch darauf aufmerksam, dass die Dolmetscher im Fernsehen nicht immer repräsentative Vertreter ihres Berufs sind und nannte als ein negatives Beispiel das Dolmetschen bei der Trauerfeier von Michael Jackson. Fünf Fernsehanstalten sendeten dieses Event live und jede engagierte eigenen Simultandolmetscher. Die mussten bei der Übertragung viel improvisieren, da ihnen überhaupt keine Informationen aus den USA vorgelegen hatten, viele Namen und Titel der Alben, Werke und Filme, die während der Ausstrahlung genannt wurden, trafen die Dolmetscher zum Teil unvorbereitet. Dem Publikum bot sich somit ein Bild von fünf unterschiedlichen Dolmetscherqualitäten an, doch eher von einer insgesamt mäßigen Qualität.

Stähle äußerte sich im Interview auch zum Unterschied zwischen dem Dolmetschen und Übersetzen. Den sieht er nicht nur darin, dass die Übersetzung schriftlich und das Dolmetschen mündlich ist. Unterschiedlich ist bei den beiden Tätigkeiten auch die Zielgruppe: Der Übersetzer übersetzt für einen Leser, den er in der Regel nicht kennt, und der nicht einmal sein Zeitgenosse sein muss. Das Dolmetschen ist dagegen unmittelbar für die Zuhörer vor Ort bestimmt. Für den Übersetzer ist im Weiteren charakteristisch, dass er mehr Zeit für die komplexe Erfassung der Textnuancen hat, der Dolmetscher dagegen viel antizipieren und mit spontanem Verständnis arbeiten muss.

Jürgen Stähle gab vor den Sommerferien ein Buch unter dem Titel „Vom Übersetzen zum Simultandolmetschen. Handwerk und Kunst des zweitältesten Gewerbes der Welt“ heraus, in dem er über seinen Beruf und seine Erfahrungen schreibt.